“Es ist so schwierig, wie es kurz ist,” schrieb der Kirchenvater Hieronymus über das Buch des Propheten Obadja. Mit nur 21 Versen ist es die kürzeste Schrift im Alten Testament und einige Exegeten beschreiben es als “fremdenfeindlich” oder “verengt nationalistisch”. Es sei gar unrelevant für die christliche Theologie, und tatsächlich ist es auch das einzige Buch der Bibel, aus dem keine Verse zur Lesung im Gottesdienst vorgesehen sind. Dabei geht es in Obadja um eine grundlegende Frage: Wie steht es um Gottes Gerechtigkeit? Und die Antwort auf diese Frage beginnt mit einem Aufruf zum Krieg gegen ein anderes Volk: “Steht auf, wir wollen aufstehen zum Krieg gegen es!“ (Obadja 1).
Israel ist am Tiefpunkt seiner Geschichte
587 v. Chr. wird Jerusalem durch die Babylonier erobert. Das Königtum Davids in Jerusalem kommt zu einem Ende und es folgt das Exil. Das Volk Israel ist am vorläufigen Tiefpunkt seiner Geschichte angekommen: Das verheißene Land und die Unabhängigkeit sind verloren. Anders als zu erwarten, verurteilt Obadja jedoch nicht die Babylonier, weil sie Gottes Volk unterworfen haben. Es geht auch nicht um die Schuld oder Unschuld Israels am eigenen Untergang. Sondern in drastischen Worten kündigt Gott den Untergang Edoms, Israels Nachbarstaates an: “das Haus Esau [wird] zu Stroh, das vom Brand erfasst wird“ (Obadja 18).
Edom erstreckte sich südlich vom Toten Meer. Es hatte nicht nur eine direkte Grenze mit Israel, sondern gilt zudem aus biblischer Perspektive als dessen Brudervolk. Als sein Stammvater wird Esau angeführt. Er war der erstgeborene Sohn Isaaks und Zwillingsbruder Jakobs, der von Gott den Ehrennamen Israel erhielt. Die im Buch Genesis erzählte Geschichte der beiden Brüder ist konfliktreich und es spiegelt sich darin das schwierige und enge Verhältnis beider Völker zueinander wieder.
Im Buch Obadja wird das Verhalten Edoms bei der Eroberung Jerusalems verurteilt: “Schau nicht zu am Tag deines Bruders, am Tag seines Unglücks! Freue dich nicht über die Söhne Judas am Tag ihres Untergangs! Und reiß deinen Mund nicht auf am Tag der Not.” (Obadja 12). In Obadja und auch in anderen Prophetenbüchern wird gegen Edom der Vorwurf erhoben, dass dieser Staat die Not Israels schamlos ausgenutzt haben. Vermutlich hatte Edom anfangs einer antibabylonischen Allianz angehört (siehe Jer 27,1-5) und sich rechtzeitig dann doch auf die Seite des Feindes geschlagen, um nicht selbst unterzugehen. Dieser strategische Schachzug rettete Edom das weitere Überleben, aber wurde aus israelitischer Sicht wie ein Dolchstoß in den Rücken wahrgenommen. Aus dieser Perspektive liest sich das Buch Obadja wie der Wunsch nach Vergeltung.
Gerechtigkeit statt Vergeltung
Am Anfang des Buches steht die Strafankündigung und der klagende Schuldaufweis gegen Edom (Obadja 2-15). Darauf folgt im zweiten Teil die das Unrecht ausgleichende Heilsankündigung für Jerusalem und Israel (Obadja 16-21). In den Strafankündigungen in Obadja 6-7 spiegeln sich vielleicht Edoms Verlust der staatlichen Unabhängigkeit durch den Arabienfeldzug des babylonischen Königs Nabonid im Jahre 552 v. Chr. wieder.
Doch das Buch Obadja wäre falsch verstanden, wenn man es nur auf die historischen Geschehnisse zwischen Israel und Edom beziehen würde. Beispielhaft wird an der Beziehung Gottes Volkes zu seinem Brudervolk nach der Bedeutung der geglaubten Königsherrschaft Gottes über alle Völker nach dem Untergang Jerusalem gefragt. Edom wird hierbei nicht nur wegen seinem Verrat an Israel verurteilt, sondern unabhängig davon wird auf den allgemeinen Hochmut des Landes als Grund für die anstehende Strafe verwiesen (siehe Obadja 3-4). Die Strafe Edoms ist keine Vergeltung, sondern an ihr zeigt sich Gottes Willen zur Gerechtigkeit. Sein Richteramt basiert auf dem sogenannten Tun-Ergehen-Zusammenhang, der im Zentrum des Buches Obadja als Prinzip der Königsherrschaft Gottes entfaltet wird: “Wie du getan hast, so wird dir getan werden; deine Tat wird auf dein Haupt zurückkehren.” (Obadja 15).
Obadja bleibt ambivalent
Am Ende des Buches steht keine selbstfixierte, nationale Überhöhung Israels. Gottes Treue zu seinem Volk mündet zwar gemäß Obadja in einer Vergeltung für Israel. Gott wird Gericht halten über Edom und Israel wird zurückkehren in sein Land. Aber das Buch hat eine universalistische Perspektive: “Fürwahr! Nahe ist der Tag des HERRN über alle Völker” (Obadja 15). An diesem Tag wird das untergangene Jerusalem samt Tempel nicht der Ort des Unglücks, sondern der Rettung sein, wo Gottes Königsherrschaft über die Völker ersichtlich wird. So verkündet Obadja am Ende ein “universales, die ganze Menschheit umfassendes Reich der Gerechtigkeit und des Friedens,“ wie Alfons Deissler den letzten Vers des Buches interpretiert. Aber es lässt sich nicht bestreiten, dass der heutige Leser dieses Buch sowohl als Lehre über Gottes Gerechtigkeit und seine Königsherrschaft zu lesen vermag und es zugleich auch “als anstößig-parteiliches Zeugnis israelischer Erwählungsgewissheit wahrgenommen werden“ kann, worauf Walther Dietrich hinweist.
(tekst www.katholisch.de
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