Wenn ein Auto durch die Kirche fährt

Die Besucher der Kreuzbichlkirche im österreichischen Gmünd müssen schon einmal mit Lärm rechnen. Denn durch das Gotteshaus führt eine Straße. Doch das ist nicht das einzige Ungewöhnliche.

Wer in der Kirche am Kreuzbichl im östereichischen Gmünd in Kärnten  zum Altar gehen möchte, sollte einmal rechts und links schauen, ob kein Auto vorbeikommt. Denn mitten durch diese Kirche, die auch Geteilte Kirche genannt wird, führt eine Straße: Der Altarraum ist auf der einen und ein zweistöckiges Gebäude mit Sitzbänken auf der anderen Seite. Beide Räume sind zur Straße hin offen – und wenn ein Fahrzeug während des Gottesdienstes durch die Kirche fährt, muss der Pfarrer kurz unterbrechen.

“Das ist dann eine kleine Störung, aber danach geht es weiter”, meint Anton Fritz. Er ist Vorstand des Stadtvereins Gmünd und hat sich mit der Geschichte der Kirche befasst. Er hat mehrere Theorien, wie es dazu kam, dass die Kirche in ihrer wohl einzigartigen Form gebaut wurde. “Die Kirche geht auf ein Wegekreuz  zurück, das 1443 an der Straße errichtet wurde. Vielleicht war es auch ein gemauerter Bildstock, das kann man nicht mehr feststellen”, erzählt er. Urkundlich erwähnt wird ein “Kreuz am Bichl” erstmals 1588. Ein Grund für das Wegekreuz  könnte gewesen sein, dass Gmünd eine wichtige Station auf dem Weg von Venedig nach Salzburg war, eine bedeutende Handelsroute damals. Außerdem begann hier die gefährliche Reise über die Gebirgspässe. “Möglicherweise wurde der Bildstock aufgestellt, um für Segen für die Reise zu bitten oder bei der Rückkehr Danke für eine glückliche Reise zu sagen.”

Eine weitere Überlegung ist, dass der Bildstock die Grenze des Gmündner Burgfriedens markiert hat. “Das heißt, jeder, der von Norden gekommen ist, hat gewusst, dass er sich ab da im Bereich der Gmündner Rechtsprechung befindet”, erklärt Fritz. In späterer Zeit seien diesen Weg auch zum Tode Verurteilte gelaufen. Sie kamen vom Gmünder Hochgericht und gingen zu ihrer Hinrichtung zum Galgenbichl. Am Wegekreuz hätten sie ein letztes Gebet sprechen können.

Später, um 1784, ist dann der Bildstock zu einer Kapelle umgebaut worden, “mit einer Apsis und einem doppelseitigen Treppenaufgang vorne”, beschreibt Fritz. Davon berichtet noch die Inschrift über dem Altar “DVRCH SEIN BLVT SIND WIR GERECHTFERTIGT WORDEN”: Dieser Satz, ein Chronogramm, enthält in römischen Ziffern zusammengerechnet die Jahreszahl: DVCILVIDWICIWD, also 500+5+100+1+50+5+1+500+5+5+1+100+1+5+5+500, ergibt 1784 – das “W” ist hier ein doppeltes “V”.

Das Mitleid des Pfarrers und Michelangelo

Überliefert seien auch Wallfahrten zur Kapelle. “Offenbar hatte ein Pfarrer Mitleid mit diesen Wallfahrern und dachte sich, er müsse da etwas dazu bauen, damit sich die Leute bei Regen schützen können”, erklärt Fritz. Dieser zweite Bau entstand ungefähr 1820 – auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Auf zwei Etagen stehen darin Bänke, in die sich die Gläubigen setzen und auf den Altar blicken können.

Neben der eigentümlichen Teilung der Kirche gibt es weitere Besonderheiten. “Das Altarbild aus der Mitte des 18. Jahrhundert hat eine ganz merkwürdige Geschichte”, so der Gmündner weiter. Als 1944 ein Restaurator das Bild sanieren wollte, sei es durch Umwelteinflüsse schon so angegriffen gewesen, dass er es nicht retten konnte. “Aber er hat entdeckt, dass darunter offenbar aus der Erbauungszeit noch Reste eines Freskos zu sehen waren.” Der Entwurf dieses Freskos, so habe er herausgefunden, geht auf den italienischen Renaissance Maler Michelangelo Buonatriti  zurück. “Michelangelo hat eine Vorzeichnung dieser Kreuzabnahme einem seiner Gesellen, Orciel dela Volterra, geschenkt. Dieser machte daraus ein Bild, das über verschiedene Ecken nach Gmünd kam. Dort wurde es als Fresko in den Bilderstock gemalt. 1861 übermalte es der Maler und Bildhauer Josef Messner in Öl in dem Versuch, es zu reparieren. “Das hielt aber nicht lang, es musste immer wieder ausgebessert werden.” 1944 wurde es nach den Untersuchungen schließlich neu gemalt.

Ein Ausschnitt des Gemäldes mit der Kreuzabnahme. Der Entwurf dieses Bildes geht auf Michelangelo zurück.

Das war aber nicht die letzte Entdeckung: Bei der Restaurierung der Kirche vor etwa drei Jahren fand man eine Kritzelzeichnung im Gewölbe. “Diese sehr kleine Inschrift, die bis auf die Jahreszahl 1443 nicht mehr lesbar ist, ist in einem Schmuckfries aufgetaucht”, erzählt Fritz. Seither geht man von der Errichtung des ursprünglichen Bilderstocks in diesem Jahr aus. Finanziert hat diese Restaurierung der Stadtverein. Das hat Tradition, begründet in einem Dokument aus dem 19. Jahrhundert: “In dem haben sich die Gemeindevertreter verpflichtet, diese Kirche auf ewige Zeiten zu erhalten”, so der Gmündner. “Das ist heute noch gültig.”

Fritz selbst ist auf Umwegen zum Experten für die Kirche geworden. Als Volksschullehrer kam er nach Gmünd – die Volksschule entspricht etwa der deutschen Grundschule. “Da ist der Heimatort im Lehrplan vorgesehen und ich musste mich eben über Gmünd schlaumachen”, erklärt Fritz. So habe er angefangen, die Geschichte Gmünds zu erforschen – und damit auch die der geteilten Kirche, die er faszinierend findet.

Zweimal jährlich findet in der Kirche – und als solche ist sie geweiht, obwohl sie oft auch “Kreuzbichlkapelle” genannt wird – ein Gottesdienst statt: zum einen eine Bittprozession, und zum anderen ein Pfarrgottesdienst am Pfingstmontag. Die Straße wird dafür nicht gesperrt, ist aber inzwischen sowieso eine Privatstraße mit wenig Verkehr. Hier finden dann der Chor und die Gottesdienstbesucher Platz, die nicht mehr in die Holzbänke der Kirche passen, “und wenn es regnet, müssen sie natürlich einen Schirm mitnehmen”, meint Fritz.

Von Johanna Heckeley

(www.katholisch.de)

 

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